Die Sänger des M. G. V. "Germania1858" Vlotho im Jubiläumsjahr 1958.

 

 

 

Stichwort Männer-Gesangverein „Germania 1858"

Gründungsbericht

 

Über die Anfänge der verschiedenen Vlothoer Vereine liegen meist nur recht dürftige Nachrichten vor, da die Vereinsakten meist in Privathand waren und im Laufe der unruhigen Jahrzehnte oft verloren gegangen sind. Dank der Tatsache, dass der Männer-Gesangverein „Germania 1858" der 1958 sein 100 jähriges Bestehen feierte, als seinen ersten Liedervater oder Direktor, wie es damals hieß, den damaligen Amtmann Müller wählte, hat sich im Amtsarchiv ein Aktenstück erhalten, das uns einen Einblick in die ersten Lebensjahre dieses Vereins ermöglicht.

 

Diese Wahl fand am 29.1.1858 statt. Die noch vorhandene Niederschrift wurde von allen Anwesenden unterschrieben und enthält die Namen folgender Vlothoer Bürger, die demnach als Gründer des neuen Vereins anzusehen sind:

F. Sievert, C. Seelmeyer, P. Böke, C. Wolpers, Jahns, W. Iburg, Wefelmeyer, F. Jahns, A. zur Mühle, F. Ohle, Krohne, Koch, Stockhuß, Jahns, Grünewälder, Schrader, Fricke, Sassenberg, Jäger.

 

Amtmann Müller ging sofort an die Ausarbeitung der Satzungen, die er schon am 2. 2. beendet hatte und drei Tage später einer Versammlung der Mitglieder vorlegte, deren Zahl sich inzwischen schon auf 72 vermehrt hatte. Allerdings erklärte er, dass er die Wahl nur unter der Bedingung annehmen würde, wenn diese Satzung ohne jeden Widerspruch angenommen werden würde.

 

Bei der Aufstellung der Satzungen hielt sich Amtmann Müller im wesentlichen an die Satzung des „Lieder-Vereins", die im Jahre 1845 beschlossen worden war.

Der neue Verein sollte den Namen „Männer-Gesang-Verein" führen und hatte den Zweck, „sich in der Kunst des harmonischen Männer-Gesangs, sowohl des kirchlichen, als auch weltlichen, immer weiter auszubilden, durch ersteren an Fest- und einzelnen Sonntagen die Erbauung beim Gottesdienste fördern helfen, durch letzteren aber immer mehr dahin zu wirken, daß unedle, besonders unsittliche Lieder verdrängt und an deren Stelle, zur Förderung edler heiterer Geselligkeit, schöne Lieder an

 

Karl Süllwald

Mitbegründer

 

Text, Melodie und Harmonie gesungen werden, wie sie in Männer-Gesangvereinen von gebildeten und gesitteten Menschen gesungen werden."

 

Geübt wurde zweimal in der Woche in der Stadtschule. Wer aufgenommen werden wollte, musste ein vom Vorstand bestimmtes Lied vortragen. In der folgenden Versammlung wurde über die Aufnahme geheim (durch Ballotage*) abgestimmt. Sie erfolgte, wenn mehr als die Hälfte aller Mitglieder damit einverstanden war. Das Eintrittsgeld betrug 15 Sgr, der monatliche Beitrag 5 Sgr, wofür man damals ein Pfund Butter kaufen konnte. Wer in der Übungsstunde rauchte, musste übrigens ebensoviel als Strafe zahlen. Weitere Strafen wurden für unentschuldigtes Fehlen und Zuspätkommen festgesetzt, doch wurde, wie sich aus dem noch vorhandenen Kassenbericht ergibt, nur wenig von diesen Erziehungsmitteln Gebrauch gemacht.

 

Der erste Vorstand

Der Vorstand bestand aus dem Präses, dem Gesangmeister und dem Secretär, der wohl gleichzeitig Kassierer war. Zum Gesangmeister oder Dirigenten wurde der Kantor Hermann Wilhelm Grünwälder gewählt, der von 1844-1868 in Vlotho tätig war. Für seine Tätigkeit als Dirigent erhielt er monatlich 2 ½  Taler, also für jeden Übungsabend 6-7 Sgr.

 

Zu Weihnachten brachte ihm außerdem noch ein Bote ein besonderes Schreiben des Amtmanns:

„An

Kantor Grünewälder, Wohlgeboren, hier.

Im Namen des hiesigen Männer-Gesangs-Vereins erlaube Euer Wohlgeboren ich mir, das anliegende Streifchen Papier aus den Vereins-Akten mit der Bitte um freundliche Aufnahme und dem Ersuchen ergebenst zu übersenden, für dieses Streifchen ein Glas schäumenden Weines auf das ungetrübte Fortbestehen des Vereins gütigst zu lehren.

Mit der Bitte, dem Verein Ihr ferneres Wohlwollen zu erhalten, zeichne ich Namens der sämtlichen Vereinsmitglieder

hochachtungsvoll und ganz ergebenst

Der Direktor des Vereins: Müller."

 

Das Streifchen Papier entpuppte sich als eine Kassenanweisung auf fünf Taler.

 

Über die Kassenverhältnisse legte am 12. 2. 1859 in der Generalversammlung, die den Vorstand in seinem Amt bestätigt, der Rendant Sievert den ersten Kassenbericht vor. Danach betrugen die Einnahmen 71 Taler, unter denen sich der Überschuss des ersten öffentlichen Konzertes befand, der sich auf 30 Tlr belief. Dieses erste Konzert hatte am 27. 11. 1858 im Götteschen Saale stattgefunden. Der Reinertrag war für die Vlothoer Armen bestimmt. Eine nebenher laufende Haussammlung hatte Spenden in Höhe von 157 Talern ergeben.

 

Wegen dieses Konzertes konnte der Verein übrigens einer Einladung der Liedertafel „Harmonie" in Varenholz zum Gesangfest mit Ball nicht Folge leisten.

 

Mit dem ungetrübten Fortbestehen des Vereins im Jahre 1859 sah es jedoch nicht gut aus. Trotz andauernder Mahnungen ließ die Beteiligung an den Übungsabenden immer wieder zu wünschen übrig. Schließlich wurde am 10. 8. beschlossen, nur noch einmal in der Woche zu singen. Zwei Monate später wird zu einer Versammlung mit der Tagesordnung eingeladen:

„Fortbestehen des Vereins?" Wer unentschuldigt fehlt, wird gestrichen, und wer nicht mehr mitmachen will, soll die Einladung nicht unterschreiben, damit wir genau wissen, wie viel Mitglieder im Vereine bleiben, und wir endlich zum Ziele kommen und die bisherige Lodderei ein Ende nimmt, denn es ist besser, wenige Sänger, die regelmäßig kommen, zu haben als viele, die unregelmäßig erscheinen."

 

Anfang des Jahres 1860 riss Amtmann Müller schließlich der Geduldsfaden. In der nur von 23 Mitgliedern besuchten Versammlung legte er am 1. 2. den Vorsitz nieder. Sein Nachfolger wurde der Zigarrenmacher Jäger I. Aus einer kurzen Meldung des Jahres 1863 geht jedoch hervor, dass Amtmann Müller zu dieser Zeit schon wieder Direktor, des Vereins geworden war.       

 

 

* Ballotage --  Geheime Abstimmung durch weiße und schwarze Kugeln.
Ballotāge nennt man nach dem Französischen die Abstimmung mittels weißer und schwarzer Kugeln über Aufnahme oder Nichtaufnahme in eine Gesellschaft.